Mit zunehmendem Grad an Bekanntheit und einer deutlich erweiterten Einflusssphäre sieht sich eine Kunstform auch zunehmend Angriffen auf die eigene Identitätsbestimmung ausgesetzt und muss, will sie nicht sukzessive ihre Berechtigung und Überzeugungskraft einbüßen, effektive Strategien zum Schutz der eigenen Integrität entwickeln. Der Black Metal bietet nun mit seinem konsequenten Sonderweg innerhalb der modernen Populärkultur wahrlich genug Angriffsfläche für Neider und Moralapostel von außen sowie Opportunisten und Scheinheilige von innen. Schon seit den ersten Schlagzeilen über „Brandstifter“ und „Satansmörder“ sind eben jene auch fleißig am Werk, um die Gesellschaft vor den unerhörten Gefahren der Subkultur zu warnen oder aber gerade diesen Hauch von „Gefährlichkeit“ zur gezielten Vermarktung ausgewählter Projekte auszunutzen.
Ironischerweise ist es dabei exakt das selbe Klientel aus parasitären Journalisten und Produzenten, die einst mit erhobenem Zeigefinger vor den unliebsamen „Fanatikern“ warnten, nun aber gerne ihr Stück vom anrüchigen Kuchen abbekommen möchten. Deren aktuelle Masche zur rituellen Bekräftigung der eigenen moralischen Deutungshoheit ist in den Denk- und Sprechverboten der „Political Correctness“, sowie in paranoider Verleumdung und Boykottierung unliebsamer Musiker (Stichwort „Grauzone“) zu finden, wobei man sich schamlos des linken Pöbels auf der Straße bedient, um seine moralischen Urteile über die Kunst zu vollstrecken. Trotzdem gelingt es der Black Metal Subkultur seit über 25 Jahren, relativ unbeeindruckt von diesen Modeerscheinungen, ihren Sonderweg konsequent weiter zu verfolgen und dabei immer mehr blühende Extreme auszuloten. Möglich ist dies nur, weil es zu den konstitutiven Elementen der Musik gehört, mit einem hohen Maß an Unabhängigkeit bzw. Autonomie ausgestattet zu sein.
Rückzug und EigenständigkeitZunächst einmal existiert die Subkultur in der öffentlichen Wahrnehmung praktisch überhaupt nicht. Auch wenn einzelne Elemente ihrer Ästhetik, wie die schwarz-weiße Gesichtsbemalung („Corpse Paint“) oder das invertierte Kreuz, es bereits zu mäßiger Berühmtheit in anderen Räumen der Populärkultur gebracht haben, ist der tatsächliche Gehalt von Musik und Thematik des Black Metal oft nur Eingeweihten oder solchen, die der Subkultur ohnehin nahestehen, zugänglich. Dies ist so auch nur folgerichtig und stellt die notwendige Konsequenz der o.g. Abschreckungswirkung und Verachtung der Masse in der Musik dar. Zu Recht ruft eine oberflächliche Auseinandersetzung mit Klang und Lyrik des Black Metal oft nur Unverständnis und Ablehnung bei Uneingeweihten hervor und ist deshalb innerhalb der Subkultur nicht erwünscht. Somit besteht auch im öffentlichen Raum, bestehend aus Politik, Massenmedien und akademischer Lobby, kaum Interesse an einer irgendwie gearteten Verarbeitung der Musik und ein solches wird sich auch in absehbarer Zeit nicht entwickeln. Künstler und Anhänger bleiben also, was die Musik angeht, zumeist unter sich und betrachten ihr gemeinsam gehütetes Geheimnis als eine Art ästhetischen Schatz, den es vor den Augen der tumben Menge so gut wie möglich abzuschirmen gilt. Die Anzahl dieser Initiierten ist somit verhältnismäßig gering, zeichnet sich aber gleichzeitig durch eine besonders hohe Dichte an aktiven Musikern aus.
Auf diese Weise ist es den Angehörigen der Subkultur möglich, in weiten Räumen nach eigenen Gesetzen zu agieren und diese Normen immer wieder gegen den gierigen Zugriff des „Mainstream“ zu verteidigen. Zu diesen Statuten gehört u.a. die rücksichtslose Verfolgung des Kapitalverbrechens eines sprichwörtlichen Partei- oder Hochverrats an den ideologischen Bekenntnissen der Musik. Dessen schuldig machen sich insbesondere diejenigen Musiker, die zugunsten von steigender Massenverträglichkeit Deals mit großen Produzenten eingehen oder irgendwie sonst signalisieren, zugunsten von kommerziellem Erfolg und Ruhm auf weniger „extreme“ Ausdrucksformen zurückgreifen zu wollen. Ohne Prozess in die Acht gejagt wird insbesondere, wer es sich erlaubt, seinen eigenen ästhetischen Bekenntnissen zuwider zu handeln oder sich peinlich berührt von früheren Extremen zu distanzieren, um neue Scharen von Anhängern ja nicht zu vergraulen. Die größte der Todsünden heißt hier Heuchelei.
Beim Abstoßen solcher unliebsamer Elemente bedient man sich schamlos jedweder Möglichkeiten, die das digitale Zeitalter zu bieten hat – Kommentarsektionen werden mit verachtenden Notizen gefüllt, Beweise für widersprüchliche Äußerungen und Handlungen minutiös gesammelt und über sämtliche Kanäle verbreitet und die Anhänger von geächteten Interpreten mit Häme und Spott überzogen. Wer das Heiligtum des gemeinsamen Bekenntnisses verrät, hat hier nicht mit Gnade zu rechnen. Auch wenn dieser Umgang nicht unbedingt von emotionaler Reife oder Integrität zeugt, hat doch gerade dieses elitäre Selbstverständnis das andauernde Einsiedlertum der Subkultur, welches den fruchtbaren Boden für die o.g. Blüten ausdrucksstarker Musik bildet, ermöglicht. Die lose Organisation und innere Vielfalt der Subkultur begünstigt zudem eine schnelle und effektive Anpassung an veränderte Umstände. Diese inhärente Dynamik hat schließlich zur Folge, dass, auch wenn dem Mainstream mit der Zeit immer wieder Eingriffe in die Substanz der Musik gelangen, dort, wo er erfolgreich eingedrungen ist, die Wunde meist schnell verschlossen wird und der kleine Kern der Subkultur relativ unverletzt bleibt. Dieser regeneriert in kurzer Zeit seine eigensinnige Schöpfungskraft und findet neue, „unbefleckte“ Formen des Ausdrucks.
Kulturelle DisziplinierungAll diesen Abläufen hat zunächst eine besondere innere Disziplinierung voran zu gehen, welche das selbstbewusste Auftreten einer kleinen Gruppe von ästhetischen Außenseitern erst ermöglicht. Einen wesentlichen Beitrag hierzu leistet die ganzheitliche Ausrichtung der Musik – Ganzheitlichkeit zunächst verstanden als Charaktermerkmal lebendiger Kultur bzw. Tradition, wie es von Yukio Mishima in seiner Arbeit Zur Verteidigung unserer Kultur (Bunka bōeiron) herausgearbeitet wurde. Am Beispiel der Dualität von „Chrysanteme und Schwert“1 betont der berüchtigte japanische Schriftsteller hier, dass Kultur stets als ganzes anzuerkennen ist, wenn aus ihr lebendige Tradition folgen soll. Als Feindbild bestimmt er den lediglich konservierenden, selbst nicht schöpferisch tätig werdenden „Kulturalismus“, der sich damit begnügt, das kulturelle „Ding“, d.h. deren leblose Form, zu bewahren und zudem nach moralischen Kriterien urteilt, welche Teile der Kultur als „schön“ oder „gut“ anzusehen und deshalb aufzubewahren seien. Nach Mishimas vitalem Kulturbegriff steht es keinem Herrscher zu, die vielfältigen Formen von Kunst und Kultur innerhalb einer Tradition gewaltsam zu reduzieren auf ein „günstiges“ Maß, welches lediglich seinen temporären und willkürlichen Maßstäben verpflichtet ist. Entsprechend dessen sieht er im Japan der Nachkriegszeit ein Übermaß an „Chrysantemen“ am Werke, d.h. eine Überbewertung der friedlichen, schönen und harmonischen Seiten der Kultur, während man das „Schwert“ in pathologischer Angst oder Scham unter einem Meer aus Kirchblüten zu verdecken sucht.
Ähnliches ist auch in der europäischen, insbesondere der deutschen Kultur des 20. und 21. Jahrhunderts zu beobachten – als kulturell „wertvoll“ wird hauptsächlich das erachtet, was Zustände des Friedens, der Liebe, Glückseligkeit und Gleichheit widerspiegelt. Krieg, Konflikt, Bedrohung, Herausforderung, Entbehrung und Tod hingegen sind für die meisten Europäer nur mehr zu lästigen, hinderlichen Zuständen geworden, die es zu „überwinden“ gilt. Eine persönliche und intensive Auseinandersetzung mit diesen „heroischen“ Erfahrungen findet deshalb auch auf kultureller Ebene kaum statt. Hinzu tritt ein politisches System, welches den ruhigen, zufriedenen Bürger als braven Konsumenten und Steigbügelhalter der Macht benötigt und daher nicht an einer kulturellen Forcierung von dunkler, agonaler Thematik interessiert ist. An dieser Stelle kommt dem Black Metal nun die Aufgabe und das Privileg zu, zum „Schwert“ zu werden, das den samtenen Vorhang dieser Wahrnehmung zerteilt und durch die Kunst den Blick auf die ganze chaotische Welt menschlichen Lebens und Leidens freilegt. Die Musik wird zum Spiegelbild und Vermittler von Zorn, Wehmut, Hass, Sehnsucht und erlaubt es dem jungen Menschen, ein selbstbewusstes Verhältnis zu diesen gemiedenen Reichen seiner Seele aufzubauen. Sie schafft zudem ein ästhetisches Fenster in die Abgründe der Vergangenheit und setzt damit eine Gegenwart in Perspektive, welche viel zu gern als Vorhof zum glückseligen „Ende der Geschichte“ wahrgenommen wird – ein wildes „Memento Mori!“, hineingeschrien in die taube Weltsubstanz der „Brave New World“.
Wachstum und BeharrlichkeitDer Anhänger der Subkultur lernt also durch die Musik die Identifikation mit einem „Prinzip der Gegenseite“ und gewinnt daraus einen trotzigen Stolz, welcher ihn abhebt vom jungen Menschen, der sich ohne Reflexion in den zwar bequemen, doch engen Korridor einreiht, der ihm von Massenmedien und Politik vorgegeben wird. Darüber hinaus bringen die relative Unzugänglichkeit des Black Metal und dessen ernsthafter Anspruch an den Hörer eine weitere Dimension von Ganzheitlichkeit mit sich: Wer nämlich im entsprechenden Alter einmal den Willen und die Überwindung aufbringt, sich auf Musik und Ästhetik der düsteren Subkultur einzulassen, der wird dadurch mit hoher Wahrscheinlichkeit nachhaltig und umfassend in seinem Charakter geprägt. Die Musik bietet nicht nur bloße Freizeitbeschäftigung oder Ablenkung, sondern erhebt ganz klar den Anspruch, ein umfassendes weltanschauliches System in die Populärkultur einzuführen. Ihr Einfluss endet also nicht mit dem Abschalten der Musikanlage, sondern setzt sich in nahezu allen Lebenslagen fort: Kleidungsstil, Umgangsformen, Freizeitbeschäftigungen, Freundeskreis und politische Ansichten werden im Lichte der Subkultur neu bewertet, Prioritäten verschoben und so schließlich das gesamte Privatleben unter den Stern der Kunst gestellt. Selbstverständlich ist diese Wirkung meist zeitlich begrenzt und relativiert sich mit steigendem Alter. Hat sich jener Prozess jedoch einmal vollzogen, so bildet sich beim Heranwachsenden oft eine besondere charakterliche Integrität und Robustheit, die sich auch im Erwachsenenalter festigen und auswirken wird.
⇒Weiterlesen in Teil VI1 Nach der im Zuge des Zweiten Weltkrieges von der amerikanischen Anthropologin Ruth Benedict angefertigten Studie der japanischen Kultur.
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